Plantagen statt Kampagnen.

Vom nachhaltigen Beziehungsanbau. Was haben Tinder, Parship und Co. an der Entstehung einer dauerhaften Liebesbeziehung verändert?

apples-02

Dating-Apps und die Liebe.

Dating-Plattformen eröffnen wohl neue Möglichkeiten des ersten Kontaktes und bringen Menschen zusammen, die sich sonst vielleicht nicht begegnet wären. Aber sie ändern wenig an den Naturgesetzen der lustvollen und leidvollen Erfahrungen zweier Menschen, die sich gerne verlieben und dann langfristig verbinden wollen. Die „Brautwerbung“ (und natürlich „Bräutigamwerbung“) bleibt trotz aller technischer Hilfsmittel spannend.

Die neue Brautwerbung.

Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Marken und Menschen, Organisationen und Kunden, Produkten und Käufern: Facebook, Instagram, Tik-Tok, WhatsApp und weitere Plattformen, Services und „Kanäle“ geben uns unüberschaubar viele Möglichkeiten an die Hand, Kontaktversuche zu unternehmen. Dank WLAN im Zug und LTE auf dem Land auch fast immer und überall. Das „Werben“ um die Gunst möglicher Interessenten scheint dadurch einfacher, schneller, genauer und sogar messbarer. Es könnte der Eindruck entstehen, dass es wirklich leichter geworden ist, echte und belastbare Beziehungen zu ... ja, was denn? Zu bauen? Zu knüpfen? Zu „machen“? Die Sprache offenbart das Dilemma. Beziehungen sind eben keine Ingenieurwissenschaft. Ihre Entstehung bleibt komplex.

Wachsen statt machen.

Der Weg zur Beziehung bleibt so komplex wie seine Grundlage: Vertrauen. Vertrauen ist nicht selbstverständlich, es muss wachsen, es muss „erworben“ werden. Das braucht Zeit. Das kostet uns etwas. Denn Vertrauen entsteht nur mit Selbstbewusstsein, Hingabe und Geduld: Mit dem Bewusstsein dafür, wer ich selbst bin und was ich zu geben habe. Mit dem Bewusstsein für das Gegenüber und echtem Interesse, ihm und seinen Bedürfnissen zu begegnen – ohne Erwartung einer Gegenleistung. Und mit dem Bewusstsein für die Prozesshaftigkeit und Dynamik des Geschehens. „Unverfügbarkeit“ nennt das der Soziologe Hartmut Rosa treffend in seiner Resonanztheorie.

Nur auf dieser Grundlage können schrittweise wachsende Beziehungen entstehen: Nach der ersten Aufmerksamkeit und möglicherweise oberflächlichen Attraktion kann sich mit der Zeit und durch Kommunikation das Wissen um die gegenseitige Bedeutsamkeit entwickelnden Wert, den eine Beziehung für beide Seiten haben könnte. Und wenn sich dann noch zeigt, dass die Erwartungen aneinander glaubhaft erfüllt werden können, dann kann Vertrauen wachsen und sich in der Beziehung erfüllen.

Beziehungsanbau auf allen Kanälen.

Was heißt das für Organisationen, die Beziehungen zu neuen Anspruchsgruppen „entwickeln“ und Interessenten gewinnen wollen? Natürlich ist es klug, alle passenden Wege der Kommunikation zu nutzen. Es kommt aber darauf an, wie und mit welcher Haltung. Denn kein Mensch möchte „Ziel“ einer „Werbemaßnahme“ sein, die ihn einfach nur schnell zum Käufer machen soll. Gerade weil die Kanäle so vielfältig und die Botschaften so zahlreich geworden sind, braucht es wieder mehr „Plantagen“, auf denen Raum und Zeit für die Reifung guter Beziehungen ist. Beziehungen aus nachhaltigem Anbau eben. Das geht nur mit Zeit. Und natürlich mit dem Mut und der Erlaubnis, auszuprobieren und immer weiter zu lernen.