Unternehmen haben ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein. In inhabergeführten Unternehmen ist dieses Selbstbewusstsein in vielen Fällen deckungsgleich mit dem des Unternehmers.
Irgendwas muss da schon ganz besonders sein, wenn man sich dazu entschließt, ein Wagyu-Rind zu zerlegen. Das Fleisch gilt als besonders edel. Und daher braucht es wohl die Überzeugung, dass das gute Fleisch vom Steak über das Gehackte bis hin zum Fett später auch seine Abnehmer finden wird. Um ein Wagyu zu zerlegen, braucht es also Leidenschaft, Entschlossenheit und nicht zuletzt Selbstbewusstsein. Dirk Flechsig aus Kamen hat schon mehrere Wagyu-Rinder zerlegt und verkauft.
Der berufliche Weg von Dirk Flechsig war vorgezeichnet: Sein Vater war Fleischer, so wie schon dessen Vater. Da lag es für ihn auf der Hand, auch Fleischer zu werden, in der dritten Generation in den Familienbetrieb einzusteigen. Kommt man mit Dirk Flechsig über das Fleischerhandwerk ins Gespräch, dann spürt man direkt: Da ist ein Mann mit Leidenschaft am Werk. Er spricht vom „ältesten und ursprünglichen Handwerk“, vom verantwortungsvollen Umgang mit Tieren, Menschen und mit der Natur. Beim Zerlegen des Wagyus begreift er das Fleisch mit allen Sinnen, kann voller Leidenschaft von „ganz entspanntem Fleisch“ reden. Schon vor rund 20 Jahren, als Dirk Flechsig die Führung des Familienbetriebs übernahm, entschloss er sich gemeinsam mit seiner Frau Yvonne, ausschließlich auf Neuland- Fleisch zu setzen – ein mutiger und auch aus heutiger Sicht selbstbewusster Schritt gleichermaßen. Diese Entscheidung war vor allem eine innere Entscheidung – der Ausdruck eines impliziten Selbstbewusstseins, das noch nicht formuliert werden konnte.
Man muss sich das vorstellen: Fleisch wird zunehmend im Discounter gekauft, die Preise sind auf einem teilweise irrwitzig niedrigen Niveau. Zwischen 2002 uns 2017 sank dadurch die Zahl der Fleischereien in Deutschland um ein Drittel bei ungefähr gleichbleibendem Fleischkonsum. Es sind unter anderem diese Marktentwicklungen, die Dirk Flechsig zweifeln ließen. Auf der einen Seite die im Preiskampf mit den Discountern aufgeriebenen Fleischereien. Auf der anderen Seite er, der nur Neuland-Qualität einkauft und verarbeitet, der Fleisch- und Wurstwaren selbst herstellt, der alles vom Tier verwertet und nicht nur die nachgefragten „guten Stücke“ wie Filets oder Steaks, der seine Waren im E-Bulli transportiert und der ausschließlich ausgebildetes Fachpersonal in der Herstellung und im Verkauf beschäftigt. Nun hat Qualität zwar ihren Preis, ob der eingeschlagene Weg tatsächlich der richtige ist, hing lange Zeit wie ein Fragezeichen über Dirk und Yvonne Flechsig. Die viele Arbeit blieb, die Unruhe auch. Sie machten sich auf die Suche, belegten Management-Seminare, lasen Bücher, in denen sie sich mit dem Sinn und dem Antrieb von Unternehmen beschäftigen. Und es setzte sich die Erkenntnis durch: Wir müssen klar definieren, wer und was wir sind.
Das war der Moment, in dem wir uns kennen lernten. Wir sprachen über die Erkenntnisse aus der gewonnenen Management-Literatur, machten Work- shops mit der gesamten Belegschaft, schrieben das Bild von Zukunft und stellten fest: Es ist alles vorhanden, um Dirk Flechsig und seine Fleischerei eindeutig zu positionieren. Es fehlte eigentlich nur eins: die Erkenntnis, dass nichts selbstverständlich ist. Denn für Dirk Flechsig und sein Team ist es selbstverständlich, nur die besten Zutaten zu verarbeiten. Für sie ist es normal, alle Lieferanten persönlich zu kennen und auf kurze Lieferwege zu achten. Es gehört zum Alltag, nahezu nebenbei beim Verkauf über die beste Zubereitungsmöglichkeit zu reden. Bestehenden Kunden ist das indirekt bewusst. Neukunden bekommen nur mit, dass es beim Flechsig halt teurer ist als an anderen Stellen. Das war der Moment, in dem klar wurde: Aus dem impliziten Selbstbewusstsein muss ein explizites Selbstbewusstsein werden.
Mit diesem neuen Selbstbewusstsein konnten Dirk Flechsig und sein Team plötzlich mit ganz neuem Mut agieren. Die Entscheidung, ein Wagyu-Rind zu kaufen, zu zerlegen und zu verkaufen, musste danach nur noch einige Monate reifen, ehe sie dann umgesetzt wurde. Und diese Geschichte ist letztlich auch nur ein Sinnbild dafür, was eine gute Positionierung ausmacht, um die auch ein Handwerksunternehmen kaum herumkommt: Es kommt darauf an, sich selbst darüber im Klaren zu sein, was man wirklich will. Danach können das gesamte Unternehmen in der Gegenwart und Entscheidungen für die Zukunft daran ausgerichtet werden – mit mehr Klarheit und Selbstbewusstsein zu mehr Erfolg.
Eines ist Dirk Flechsig bis heute nicht genommen worden: die Unruhe. Sie begleitet ihn weiter. Es gibt viele Perspektiven, aber kaum Möglichkeiten, den elterlichen Betrieb in Innenstadtlage zu erweitern. Es gibt viel Arbeit, aber wenig Nachwuchs. Wer will schon in eine Branche, die angezählt zu sein scheint? Dabei zeigt Dirk Flechsig, dass es funktionieren kann, mit dem richtigen Maß an Selbstbewusstsein, die zukunftsweisenden Entscheidungen zu treffen. Einen geeigneten Nachfolger zu finden, das ist das, was ihn jetzt antreibt. Es muss einer sein mit Leidenschaft für das Handwerk, mit Weitblick über die reinen Kosten im Unternehmen hinaus und mit dem Selbstbewusstsein, den eigenen Weg zu gehen. Irgendwas muss da schon ganz besonders sein.