Botenstoff 03: 3 Fragen an Dirk Meissner

Dirk Meissner lebt und arbeitet als freier Cartoonist in Köln. Seit 2005 arbeitet er regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung.

Wolfram Heidenreich (WH): Lieber Dirk, warum lachen wir eigentlich?

Dirk Meissner (DM): Lachen ist ja nicht gleich Lachen. Die mildeste Form ist das Lächeln und Schmunzeln. Dann gibt es das Kichern, das verstohlene Lachen, das hysterische Lachen, das herzhafte Lachen, das bittere Lachen und vor allem das befreiende Lachen. Lachen ist in seiner reinen Form ein Kontrollverlust, der es ermöglicht, die Dinge anders zu betrachten als vorher. Daraus entsteht die Möglichkeit zur Veränderung. Nur Menschen, die lachen, können die Welt verändern. Bezogen auf eine Karikatur ist es entscheidend, ob sie mich emotional berührt und überrascht, dann muss ich lachen.

WH: Was macht eine gute Überzeichnung aus?

DM: Im Humor gibt es das Limitierende – das Begrenzende – und das Transgressive, bei dem bestehende Grenzen oder Gegensätze im positiven Sinne überwunden werden. Eine gute Karikatur fokussiert sich auf das Wesentliche und lässt Unnötiges weg. Sie deutet die Dinge eher an, als sie komplett zu erzählen oder zu zeichnen. Das Entscheidende passiert im Kopf des Betrachters. Dafür muss der Zeichner auf mehreren Ebenen arbeiten. Eine lange Nase oder große Ohren reichen für eine gute Karikatur nicht aus, der Zeichner muss eine inhaltliche Relevanz herausarbeiten.

WH: Du musst dich also mit dem wirklichen Leben beschäftigen, du bist ein Beobachter ... 

DM: Ja, das gelingt mir nur, wenn ich mich sowohl mit der Wirklichkeit beschäftige als auch mit der Wahrheit. Erst dann entsteht die Möglichkeit zur Karikatur. Wahrheit, Witz und Wirklichkeit bilden ein Dreieck. Sind Wahrheit und Wirklichkeit deckungsgleich, hat der Witz keine Chance. Eine gute Karikatur braucht deshalb einen wahren Kern und einen Bezug zur Wirklichkeit und beides muss geschickt verpackt werden. Dann wird die Karikatur zu einer starken Waffe gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Das ist der limitierende Ansatz, ich zeige den Mächtigen ihre Lächerlichkeit und über die Karikatur grenze ich mich ab. Das Transgressive im Humor zeigt sich in Karikaturen, die eher auf Selbstironie und dem eigenen Unvermögen aufbauen.

Witz spielt mit unterschiedlichen Ebenen. Vor ein paar Jahren habe ich einmal einen Mann gezeichnet, der beim Psychiater auf der Couch liegt. Er sagt: „Jede Nacht habe ich den Traum: Ich sitze im Bauch von einem Wal – und wenn ich dann aufwache, merke ich: Es ist nur ein Goldfisch ...“ Daraufhin denkt der Psychiater: „Daher also die Minderwertigkeitskomplexe!“ So weit der Witz.

Ein paar Jahre später waren wir auf Island und wollten Wale beobachten, doch der Bootsausflug war erfolglos, die Wellen waren zu hoch. Zurück in Reykjavík gingen wir in die städtische Bibliothek, um uns aufzuwärmen. Und was stand da: ein Aquarium mit Goldfischen. Ich musste herzhaft lachen. Doch es wäre schwer gewesen, es einem Außenstehenden auf Anhieb zu erklären. Ich bin danach aber nicht zum Psychiater gegangen.

Unsere Buchempfehlung:
„Sagen Sie jetzt nicht, das ist Kunst ...“ (Buch)
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Dirk Meissner. Schaltzeit Verlag 2019

Kann man über Gelb lachen? Oder über ein Quadrat? Die Antwort fällt leicht, wenn man die Dinge so sieht, wie Dirk Meissner in seinen Kunstcartoons: Man kann nicht, man muss. Mit wenigen Strichen schafft dieses Buch den Einstieg in die moderne Kunst, in die Absurditäten und Verrücktheiten einer Welt, die losgelöst ist von den Petitessen des Alltags.